Über Ebay zur ersten eigenen Werkstatt Ein Vormittag mit Restaurator Michael Wintjen

Die Straße, in der das Gründerzeithaus mit der großen blauen Doppeltür steht ist ruhig, aufgeräumt und führt direkt zum Breslauer Platz. An der Tür hängt ein etwas in die Jahre gekommenes Schild, auf dem in inzwischen ausgeblichener und abblätternder Farbe ein Schaukelpferd gemalt ist. Unter ihm steht in einer dezenten Schrift „Michael Wintjen Werkstatt für Möbelrestaurierung.“ Nach einem leisen Klingeln öffnet sich die Tür und es folgt ein gefliester Flur, der in einen verwilderten Garten führt. Das Gras wächst mehrere Zentimeter hoch und die Bäume und Büsche verdecken die Sicht auf das Berliner Gartenhaus. Einige wenige abgetretene Beton Stufen führen in das Innere des Ateliers.

Julie Pelzel
Michael Wintjen steht an der Werkbank. Immer wieder fährt er mit einem weißen Tuch über das Holz, des alten Schmuckkästchens und blickt mit zusammengekniffenen Augen auf die Holzmaserung. Die Werkstatt ist ein einziger Raum mit vier Meter hohen Decken und alten Fenstern, deren verstaubtes Glas gedämpft das Sonnenlicht in den Raum fallen lässt. Die Wände und die Decke sind unverputzt, der Holzboden knarrt leise unter seinen Schritten und der Ventilator dreht sich lautlos über den umstehenden Möbeln. Die Möbelstücke stehen im ganzen Raum verteilt herum. In manchen Ecken mehr, in manch anderen weniger präsent. Das Skelett eines Sessels steht in der Raummitte. Das Atelier ist renovierungsbedürftig. „Vor ein paar Jahren kam hier noch das Wasser durch die Decke getropft“, berichtet Wintjen. Kein Wunder, denn das Atelier existiert so in seiner vorm schon seit den 50er-Jahren und wird in dritter Generation geführt. Sein Vorgänger hat hier 30 Jahre gearbeitet, und er wird es wohl am Ende 20 Jahre geführt haben. Er setzt sich auf ein grünes Samtsofa, welches beim Hinsetzen ein leises Quietschen von sich gibt. Im Hintergrund läuft leise klingend das Lied „Let it be“.

70 Jahre ist eine lange Zeit. Geschäfte kommen und gehen, aber die Werkstatt bleibt. Zu verdanken ist das ihrem Standort. Friedenau ist ein sehr geschichtsträchtiger Bezirk. Viele Gründerzeithäuser und einige Villen sind nach Angaben des Bezirksamtes Tempelhof- Schöneberg durch eine Erhaltungsverordnung aus dem Jahre 1986 bestehen geblieben und haben hauptsächlich das Bildungsbürgertum angezogen. Auch die umliegenden Bezirke Grunewald, Dahlem und das Lichterfelder Villenviertel schaffen durch ihr Klientel viel Kundenpotenzial für
die Werkstatt. „In Friedrichshain könnte der Laden nicht überleben“. Immer mehr Werkstätten mussten in den vergangenen Jahren schließen und wurden zu Wohnraum, erzählt Wintjen. Tatsächlich hat sich die Anzahl der Handwerksbetriebe in Deutschland nach Angaben des Zentralverbandes für deutsches Handwerk über die letzten 10 Jahre relativ konstant gehalten und ist in Berlin im Vergleich der letzten drei Jahre sogar ein wenig angestiegen. Dennoch betont der Restaurator, dass es gerade für unabhängige Betriebe wichtig ist, Präsenz zu zeigen, um bestehen zu können. Regelmäßig öffnet er die Türen seiner Werkstatt für Workshops und Kulturveranstaltungen wie Lesenächte, Lichtinstallationen und Filmabende und das sogar sehr gerne. Stolz zeigt er Bilder von den aufwendigen Lichtprojektionen und deutet dabei auf die Orte, an denen die bunten Bilder zu sehen waren.

Das Atelier hat im Kiez einen sehr hohen Stellenwert. Die Anwohner sind dankbar, dass es jemanden gibt, der auch kleine Arbeiten, wie einen wackelnden Stuhl mal eben erledigt. Auch das gegenseitige Miteinander, so berichtet er, ist etwas, was er an der Nachbarschaft wertschätzt.
Die Menschen fühlen sich in der Werkstatt sehr wohl und versuchen einander zu unterstützen. Wintjen hat es sich aus diesem Grund zur Aufgabe gemacht, die Räumlichkeiten so wie sie sind, zu erhalten. „Irgendwann wird das hier vorbei sein und ich weiß, dass das hier jetzt gerade eine gelebte Zeit ist, an der sich die Menschen erfreuen sollen“. Um das Miteinander zu stärken, arbeitet das Atelier regelmäßig mit anderen, meistens lokalen Werkstätten zusammen. Aufträge werden regelmäßig hin und her gereicht, um unter anderem den
Kiez lebendig zu erhalten.
Wintjen fährt sich immer wieder durch das lange schwarz, graue Haar und kratzt sich am dichten Bart. Nachdem er die Werkstatt übernommen hatte, wurden ihm die meisten Werkzeuge und Materialien überlassen. Das Atelier trägt allerdings auch einen persönlichen Stempel. An den Wänden hängen im ganzen Raum verteilt gemalte Bilder von der Lebenspartnerin, ein Holzspind dient zur Aufbewahrung und grüne Flaschen stehen auf den Fensterbänken verteilt und beinhalten teilweise getrocknete Blumen.
An die Werkstatt ist er zufällig gekommen. Eigentlich wollte Wintjen nur eine Werkbank über EBay Kleinanzeigen kaufen, doch als der Verkäufer von der Jobsuche erfuhr, sagte er „Mensch fahr mal schnell nach Friedenau, der Eberhard sucht einen Nachfolger.“ Selbstständig zu sein ist gar nicht so einfach, berichtet Wintjen. Oft trifft wirtschaftliches Denken auf den Wunsch, es trotzdem restaurieren zu wollen und eine Entscheidung muss getroffen werden. „Manche Aufträge nimmt man auch an, weil man weiß, dass man die Gelegenheit nicht mehr bekommt“. Zuletzt traf dies auf ein Grammofon zu, welches sich der Restaurator nicht entgehen lassen konnte.
Die Kellertreppen führen in einen kleinen schmalen Gang, an dessen Ende sich eine Tür befindet. Hinter der Tür führen ein paar Treppen in den Garten, der zur Werkstatt gehört. Die Fassade des Ateliers sieht ebenso wie ihr Dach baufällig aus. Der Putz bröckelt stellenweise ab und einige Pflanzen wuchern aus den Dachziegeln. „Für mich wäre es ein Traum zu wissen, dass es bleibt“. Doch das könnte sich in acht Jahren mit dem Auslaufen des Mietvertrages ändern. Die Vermieterin versucht immer mehr Mängel am Gebäude über die Mieter beheben zu lassen. Das sind Kosten, die Wintjen nicht tragen kann. Eine Altersvorsorge gibt es nicht und mit dem Unterhalt der Kinder wird schon jetzt das Geld am Ende des Monats knapp. Aber Wintjen bleibt zuversichtlich, „Durch Zufall und Glück ging bei mir immer irgendwie alles weiter.“ Sein Wunsch für das Atelier wäre es, den Raum zu einem kreativen Open-Space zu machen. Gerade die Arbeit mit jungen Menschen und die Möglichkeit, sein Wissen weiterzugeben, habe ihn schon immer viel Freude bereitet.