Das bewusste Auslassen von Informationen, um große Themen kleinzuhalten

Ein Bruch mit der journalistischen Ethik als Kollateralschaden

 

Die ethischen Parameter in der klimatischen Berichterstattung 

Die ersten Folgen werden für uns Menschen spürbar und die Prognosen erfordern sofortiges Handeln. Der Klimawandel, die wohl zentralste Thematik unserer Zeit.
Umso wichtiger steht es um die diesbezügliche Berichterstattung.
Der Report findet inzwischen nicht mehr nur auf einer globalen Ebene mit weltweiten Auswirkungen des Wandels statt, sondern beleuchtet inzwischen ebenso individuelle Schicksale.
Umso wichtiger wird es allerdings, sich an die ethischen Parameter zu halten, um niemanden in seiner Person zu diskreditieren oder aktiv zu beeinflussen.
Im folgenden Text widmen wir uns zwei Beispielen der Berichterstattung über den Klimafeind Kohlekraft.
Diese werden wir mit Fokus auf die Gesichtspunkte Vermittlung des Inhalts, Formulierung und  Framing analysieren, um so einen Bezug zum Ethik-Kodex des Journalismus herzustellen zu können

DERWESTEN und die Funke Mediengruppe

Das Magazin DERWESTEN ist ein Tochterunternehmen der Funke Mediengruppe. Die Online-Zeitschrift bündelt, nach Angaben Funkes, alle journalistischen Kompetenzen, welche sich auch in den anderen untergeordneten Redaktionen wiederfinden lassen.
Nach eigenen Angaben strebt die Mediengruppe es an, das beste Medienhaus Deutschlands zu werden. Der besondere Fokus, um dieses Ziel zu erreichen, würde dabei auf der qualitativ hochwertigen Berichterstattung liegen.
Diese würde sich an den Bedürfnissen der Leserschaft orientieren, um sie bestmöglich zu informieren.
DERWESTEN, mit seinem Fokus auf regionale Berichterstattung, richtet sich dabei mit seiner schnellen, emotionalen und unterhaltsamen Berichterstattung nach eigenen Angaben an eine jüngere Zielgruppe.
Den Artikel „Grüne warnen vor Kohle-Bauorgie in NRW“ von Jürgen Polzin, der sich bis heute im Archiv des Westens online finden lässt, veröffentlichte das Onlineportal im Jahre 2010.
Thematisiert wird der Beschluss der Schwarz-Roten Landesregierung 36 neue Standorte für Kohlekraftwerke abzusichern. Im Text werden die entsprechenden Gegenreaktionen der Grünen und die der Umweltaktivist: innen beleuchtet. In diesem Zusammenhang werden ebenfalls die Klimaschutzziele beschrieben, sowie die Auswirkungen, welche die Kohlekraftwerke auf diese haben.

DERWESTEN und die Berichterstattung über die „Kohle-Bauorgie“

Der Einstieg des Textes wird durch eine Großaufnahme begleitet auf welcher Jürgen Trittin, Politiker der Grünen, lächelnd vor einem Kohlekraftwerk zu sehen ist.
Auf diese Art und Weise wird direkt zu Beginn eine Art Widerspruch beim Rezipienten ausgelöst.
Die Überschrift des Artikels lässt durch die Wortneuschöpfung „Bauorgie“ die behandelte Thematik von Beginn an stupide erscheinen.
Diese Wirkung wird durch das darunter folgende Bild untermalt auf welchem, rein objektiv betrachtet, zwei lächelnde Herren abgebildet sind.

Im ersten Abschnitt wird die dramatisierende Einleitung der Überschrift wieder aufgenommen und fortgesetzt. So lassen sich viele Informationen in kurzen, aufeinanderfolgenden Sätzen aufnehmen.
Die thematische Konkretisierung welche der Text im Hauptteil einnimmt bezieht sich vor allem auf die bevorstehende Neuausrichtung der Legislaturperiode der Kohlekraft. Im Gegensatz zur Einleitung findet diese in einer gewissen journalistischen Neutralität statt. Allerdings macht der Autor weiterhin Gebrauch von Begriffen wie „Hauruckverfahren“, die seinem Text als Informationsquelle eine unseriöse Wertung verleihen.

Das Ende der Berichterstattung wird mit der Problematik von Kohlekraftwerken eingeleitet. So wird sowohl auf die Gefahr einer Klagewelle von Klimaschützern: innen als auch auf die Bedrohung der Erneuerung von Kraftwerken in NRW aufmerksam gemacht.
Darauffolgend unterrichtet der Autor den Rezipienten nochmals über die klimatischen Auswirkungen, welche die Kohlekraft mit sich bringt. Beendet wird der Artikel mit Fragen, welche viel Raum für Spekulationen lassen.

Die Berichterstattung in Hinblick auf die ethischen Parameter des Journalismus

Betrachtet man nun den Beitrag „Grüne warnen vor Kohle-Bauorgie in NRW“ und setzt diesen in Verbindung zum journalistischen Ethik-Kodex, so fällt auf, dass viele der im Kodex festgelegten Parameter vernachlässigt wurden.
Beginnend mit der wertfreien Berichterstattung lässt sich feststellen, dass diese im Text nur teilweise gegeben ist. Durch die gezielte Verwendung von Worten wie „Hauruckverfahren“ verleiht der Autor den Geschehnissen eine negative Wertung, welche sich auf den Rezipienten übertragen kann.
Einen weiteren Kritikpunkt stellt die Darstellung der im Text genannten Informationen dar. Es werden sehr viele Unterthemen aufgegriffen, diese jedoch in einer Art und Weise behandelt, welche sich als unvollständig werten lassen. So wird eher ein grober Überblick übermittelt, als das eigentliche Thema intensiviert.
Das Spielen mit den Emotionen der Rezipienten lässt sich klar als ethisch nicht vertretbar einordnen, vor allem da es sich bei dem Thema um ein politisch-ökonomisches handelt. Dennoch findet es im Artikel durch die Überschrift sowie über die Aneinanderreihung verschiedener Informationen statt.
Die Frage „Bricht also mit einer möglichen großen Koalition in NRW die große Zeit der Kraftwerkbauer an?“ wird kurz vor Schluss aufgeworfen und lässt dem Leser sehr viel Interpretationsspielraum. Fragen dieser Art sollten im Sachinhalt der Berichterstattung aufzufinden sein und kein „offenes Ende“ markieren.
Alles in allem lässt sich der Bericht also in die Kategorie der Sensationsberichterstattung einordnen, in welcher die bewusste Beeinflussung des Lesers durch stilistische Mittel wie Sprache und Bild besteht. Damit widerspricht der gewählte Artikel nicht nur den aufgezeigten ethischen Parametern, sondern auch der zu Beginn erwähnten qualitativen Berichterstattung, mit welcher sich die Funke-Mediengruppe von anderen Medienhäusern als solche abheben möchte.

DIEZEIT und die Meinungsbildung über den Klimawandel 

10 Jahre später.

Vier rauchende Kohlekraftwerke, dicht aneinander gebaut, spiegeln sich in einer Pfütze wider. Von Matsch umgeben und dreckig; eine Wirkung, die durch den Kontrast des knallgrünen Rasens noch verstärkt wird. Symbolisiert dieser die Farbe der Hoffnung?
Die Wochenzeitung DIEZEIT nutzt dieses Titelbild für ihren Artikel über das Ende der Kohlekraft. „Große Koalition einigt sich auf Kohleausstieg“ titelt sie, und bleibt inhaltlich in Anbetracht der schwierigen Lage sachlich. Der Artikel ist bei ZEIT ONLINE am 29. Juni 2020 erschienen, ein Autor wird nicht genannt. Ihrem Leitfaden, ein Blatt der Akademiker und Intellektuellen zu sein, bleiben sie treu und damit auch ihre Leser ihnen. Bis heute ist die Zahl der Auflagen hoch und weiterhin steigend. DIEZEIT steht für die Debatte von kontroversen Themen, in der sie sich stets bemühen unterschiedliche Positionen zu beleuchten, um die Meinungsbildung der Leser zu fördern.

Die Berichterstattung über die Umrüstung der Kohlekraftwerke 

Passiert dies auch in der Berichterstattung über den Beschluss des Kohleausstiegs?
Anlass ist die Klärung der letzten Meinungsverschiedenheiten zwischen CDU und SPD rund um den Ausstiegsplan aus der Kohleenergie. Es sollen Förderprogramme für die Umrüstung von Kraftwerken in Höhe von 40 Milliarden Euro erfolgen.
Außerdem ist eine Härtefallregelung geplant. Betreiber von jungen Steinkohle Anlagen können sich bis 2026 bewerben, um ihre Kraftwerke gegen Entschädigung abzuschalten.
Diese und andere Förderprogramme zur Umrüstung setzen vermeintlich neue Anreize für den Wechsel von Kohle hin zu klimafreundlichen und erneuerbaren Technologien.
Die Politik verspricht also ausgiebige Hilfe beim Umbau der Energiewirtschaft.
Von Kohlekraft Bauwerken betroffene Regionen und deren Beschäftigte sollen nachhaltig unterstützt werden.
In Aussicht wird außerdem gestellt, dass ein Gesetz verabschiedet werden soll, welches den Kohleausstieg bis 2038 regelt.

Das Vorenthalten relevanter Informationen und die damit einhergehende ethische Problematik 

All diese Informationen werden von dem Autor/der Autorin objektiv, sachlich und in einer seriösen Art und Weise porträtiert. Die politischen Entscheidungen und Verlautbarungen werden wiedergegeben.
Der Leser wird hierbei über die aktuelle Lage aufgeklärt. Aufgrund des sachlichen Sprachstils bleibt hier kaum Raum zu Kritik und Analyse.
Hier findet also, wie im Pressekodex Ziffer 1 festgelegt, die “wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit” statt, welche mitunter das oberste Gebot der ethischen Standards im Journalismus ist.
Trotz der bis zu diesem Zeitpunkt lobenswerten, in der Berichterstattung angewandten Objektivität des Journalisten, werden einige inhaltliche Aspekte weggelassen. Hier werden also nicht alle Seiten der Thematik beleuchtet und somit dem Leser Informationen vorenthalten. Informationen, die für das Sachverständnis über die gesamte Thematik und folglich für die Meinungsbildung der Leser relevant gewesen wären. Die Wichtigkeit des Kohleausstiegs wird hier in keinem Satz beachtet. Bedenken wir die Folgen, die diese Art der Energiegewinnung hat, leiden Umwelt und die Gesundheit der Menschen nachhaltig. Auch die zeitliche Zielsetzung, die die Politik für den Ausstieg festlegt, wird hier nicht angeprangert. Stattdessen werden Inhalte der Beschlüsse sowie unbedeutsame Fakten dargestellt. Lediglich Lösungen für die wirtschaftlichen Folgen der beteiligten Akteure werden beleuchtet.
Ist es Aufgabe eines Journalisten die Thematik vollends zu beleuchten? Werden hier essenzielle Fakten, die das Thema begleiten vorenthalten?

Die journalistische Wichtigkeit der umfangreichen Informieren 

Die große Verantwortung die Bürger zu informieren und aufzuklären findet hier nur in ausgewähltem Maße statt. Die objektive Berichterstattung ist zwar notwendig und legitim zu begründen, stößt jedoch auf Grenzen. Im Hinblick auf die ethische Relevanz der Thematik ist es sehr erschreckend, dass hier die klimatischen Folgen keinen Raum der Erwähnung finden. Der direkte Zusammenhang bleibt unerwähnt und die Relevanz der Wirtschaft wird in ihrer Wichtigkeit als zuoberst dargestellt.

Obwohl 10 Jahre zwischen den analysierten Artikeln liegen und das Umweltbewusstsein sowie auch die Kenntnis über Gefahren der Kohlekraft für die Natur gestiegen sind, lässt sich feststellen, dass immer noch “geschwärzte” Berichterstattung erfolgt. Sie findet also nicht umfassend und den ethischen Grundsätzen entsprechend statt, da Informationen bewusst ausgelassen werden.

Ein Vergleich der beiden Artikel 

Bei dem Artikel von DERWESTEN verliert die Thematik durch die genutzten Wortneuschöpfungen und die Art der sensationellen Berichterstattung an Seriosität und Ernsthaftigkeit. Letzteres ist bei DIEZEIT definitiv nicht gegeben.
Es hätte bei beiden Artikeln darauf geachtet werden müssen, den Aspekt der dramatischen klimatischen und gesundheitlichen Auswirkungen mindestens zu erwähnen, anstatt ihn außer Acht zu lassen. Der Verantwortung, die Menschen darüber in Kenntnis zu setzen, haben sich die Autoren entzogen und somit ethische Werte verletzt. Den Richtlinien des Pressekodex werden sie damit teilweise nicht gerecht.

 

 

In gemeinsamer Arbeit mit Sandra Grueschow